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Es war ganz unvermeidlich, daß Tony und Oliver Barrett oft zusammen waren, obwohl sie sich auf seinem Fest äußerst zurückhielten. Er tanzte mit mir, mit Larry und mit einem halben Dutzend anderer verheirateter oder unverheirateter Frauen und nur zweimal mit Tony. Aber seine Blicke schweiften ständig in ihre Richtung, und als er mit ihr tanzte, war er ein ganz anderer Mensch, nicht mehr der steife junge Arzt, der für uns seine Pflicht tut — weniger konventionell, jünger, leichter zum Lachen bereit. Aber Tony ist auch so ungezwungen und natürlich, daß sie diese Wirkung auf die meisten Menschen ausübte.

Das Haus des Arztes lag dem Supermarkt direkt gegenüber, nur durch die staubige Straße und den ebenso staubigen Garten getrennt, den der Vorgänger verzweifelt aufgegeben hatte. Das Sprechzimmer lag an der Ecke des Hauses und war für Tony voll sichtbar, die das Kommen und Gehen bestimmt genau beobachten würde.

Nicht daß sie darüber mit mir oder jemand anderem gesprochen hätte. Zwei Jahre bei Tantchen hatten sogar Tony Verschwiegenheit beigebracht, und sie wußte, daß bei Patienten eines Arztes absolute Geheimhaltung geboten war. Man hatte jedoch abgemacht, daß Mitteilungen durch den Supermarkt übermittelt werden sollten, wenn er Besuche machte, und Tony wußte normalerweise, wo er sich aufhielt.

Natürlich merkte sie auch, wenn das Haus an den Herbstabenden dunkel und die Garage leer war, und ebenso selbstverständlich stellte sie sich vor, wie ein junger Mann müde in ein kaltes Haus zurückkommt und beginnt, seine langweiligen Büchsen zu öffnen. Wenn er nicht um 7 Uhr zurück war, schickte Miss Adams sie oft mit einer Mahlzeit hinüber, die im Ofen warmgestellt wurde, und am nächsten Morgen kam er dann, um sich zu bedanken.

»Herrlich, nach Hause zu kommen und eine Mahlzeit vorzufinden und ein warmes Haus, in dem die Heizung brennt«, sagte er ihnen. »Ein Segen, auf dem Lande Nachbarn zu haben. In der Stadt würde niemand merken oder sich darum kümmern, wann ich nach Hause komme.«

Alles war sehr heimelig und gefährlich vertraut.

Nicht daß Miss Adams die Freundschaft auch nur einen Moment lang ermutigt hätte. Sie war kein Mensch, der sich in die Dinge anderer eingemischt hätte, und obwohl wir nie darüber gesprochen hatten, spürte sie, glaube ich, daß ich Peter vorzog. Aber die Telefonabsprache war eine geschäftliche Angelegenheit, und der Bezirk verließ sich auf den Supermarkt, um die Mitteilungen weiterzuleiten. Räumliche Nähe ist ein fruchtbarer Boden für die Liebe, und das läßt sich bei einem attraktiven, warmherzigen Mädchen und einem netten, überarbeiteten jungen Mann kaum vermeiden.

Außerdem war Tony in mancherlei Hinsicht ein solcher Kindskopf. Sie glühte vor Begeisterung, wenn sie dem Arzt half; sie betete ihn an, weil er sich dem Dienst ihres geliebten Hinterlandes verschrieben hatte. Oliver selbst war kein armer Kerl, aber er half allen armen Kerlen im Bezirk, und nichts hätte Tony besser gefallen können.

 

Was Peter betraf, so konnte man wirklich nicht sagen, wie es um seine Gefühle stand, wenn er überhaupt welche hatte. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, führte seine Farm gut und geschickt, machte uns ab und zu einen Besuch, ging aber häufiger zu seiner Schwester Alison und schien genauso freundlich und an Tony interessiert zu sein wie immer. Ein äußerst ärgerlicher junger Mann, der einem Rätsel aufgab.

Alison hat mit mir einmal darüber gesprochen, aber nur einmal. Wir hatten Kaffee getrunken und ein paar herrliche Platten gehört, denn Julian hatte viel Geld, und es gab dort keinerlei Anzeichen für eine Notlage. Plötzlich stellte sie ihre Kaffeetasse hin und fragte: »Susan, hat Tony vor, diesen jungen Arzt zu heiraten?«

Die Frage kam für mich überraschend, denn Alison ist ein zurückhaltender Mensch. Ich sagte langsam:

»Ich weiß nicht. Sie scheinen sich anzufreunden, aber sie sind zwangsläufig viel zusammen, weil der Supermarkt so nah bei seinem Haus ist und Tony alle Mitteilungen für ihn annimmt. Sie ist kein junges kleines Mädchen mehr, das sich sofort in jeden verliebt, den sie bewundert, aber sie weiß, wie nötig ein Arzt hier ist, und sie macht eine Art Held aus Oliver Barrett.«

Alison saß einen Augenblick schweigsam da, dann sagte sie ziemlich traurig: »Ich hoffte, es würde Peter sein.«

»Um ehrlich zu sein, das habe ich auch gehofft. Aber ich habe nie herausfinden können, ob Peter in sie verliebt ist oder nicht.«

»Ich auch nicht. Niemand wird jemals erfahren, ob sich etwas verändert hat. Aber ich glaube ja. Er ist in letzter Zeit noch stiller geworden und will überhaupt nicht ausgehen... Er ist natürlich kein umwerfender Mann. Aus ihm könnte man unmöglich einen Helden machen.«

Ich dachte daran, wie ruhig und selbstlos Peter sich nach dem Tode seines Vaters einer anspruchsvollen, schwierigen Mutter geopfert und vielleicht damals das Glück und sein eigenes Leben verpaßt hatte. Aber ich sagte nur: »Dr. Barrett ist auch kein Held. Peter ist ihm in jeder Hinsicht überlegen, sogar im Aussehen — er ist größer und weitaus männlicher. Ich glaube, Paul hat nicht ganz unrecht, wenn er sagt, der Doktor habe einen ziemlich schwachen Charakter, außer wenn es um seine eigenen Interessen gehe. Seine Interessen bestehen gegenwärtig darin, aus dieser schwierigen Praxis etwas Gutes zu machen — und davon versteht er etwas. Er ist weitaus der beste Arzt, den wir je hatten. Aber ich glaube, er braucht eine Schulter, auf die er sich stützen kann.«

»Leider stützt Tony gern jemanden, und gerade die Tatsache, daß er hart arbeitet und niemand für ihn sorgt, gefällt ihr. Peter scheint so selbstsicher zu sein. Er stützt sich auf niemanden; dieses Ehepaar bei ihm versorgt ihn bestens. Er sieht nie blaß aus, sondern einfach schrecklich gesund.«

Wir lachten beide, und ich sagte dann: » Jemanden zu stützen und zu umsorgen ist eine Zeitlang ganz schön, aber es kann langweilig werden, besonders, wenn es nur von einer Seite ausgeht; daher hoffe ich... Aber, laß uns dieses Gespräch vergessen, Alison. Ich spreche nicht einmal mehr mit Larry über Peter.«

Aber natürlich wußte Larry Bescheid. Es ist unmöglich, daß zwei Menschen elf Jahre lang alles geteilt haben und dann nicht erraten, was in den Gedanken des anderen vorgeht. Aber sie sprach nie darüber. So war Larry eben. Sie konnte manchmal schrecklich geschwätzig sein, aber wenn es etwas war, was mir wirklich am Herzen lag, mischte sie sich nicht ein. Gerade diese Eigenschaft machte sie zu einer so guten Freundin. Aus ihrem Schweigen merkte ich jedoch, daß sie wußte, was mir Sorgen machte.

Sorgen? Das war albern. Oliver Barrett war ein angenehmer Mensch, ein sehr fähiger Arzt, selbstlos in seiner Arbeit, nett zu jedermann und verliebte sich offensichtlich gerade von ganzem Herzen in Tony. Die meisten Mütter — und ich fühlte mich als Mutter dieses Mädchen — wären entzückt gewesen. Ich bin sicher, ihre richtige Mutter hätte sich gefreut, denn Claudia bedauerte immer den »unglücklichen Abstieg ihrer Tochter in den Handels wie sie es nannte; hiermit würde sie gesellschaftlich wieder steigen.

Ich machte mir nur Sorgen, weil ich sicher war, daß Tony in einem albernen Paradies lebte. Sie war jung und töricht genug, um zu glauben, ihr Doktor sei der selbstlose Sklave des Hinterlandes, während der Rest von uns merkte, daß er diese Praxis nur als Sprungbrett benutzte. Oliver Barrett schwieg sich über seine Zukunftspläne völlig aus, aber wir konnten sicher sein, daß sie Tiri nicht einschlossen. Ärzte waren sowohl in der Stadt als auch auf dem Lande Mangelware, und dort lagen für ihn Erfahrung und Aufstieg. Dieser junge Mann würde immer gute und gewissenhafte Arbeit leisten und wurde in der Stadt fast genauso gebraucht wie hier. Tony sollte einsehen, daß man nicht von ihm erwarten konnte, lange hierzubleiben.

Ich versuchte, ihr das vorsichtig zu erklären, aber sie brauste sofort auf.

»Ich weiß, daß sich Oliver nur für sechs Monate festgelegt hat, aber er wird so lange bleiben, wie er gebraucht wird. Er weiß, daß es in der Stadt einige Ärzte und Krankenhäuser gibt. Hier gibt es nichts. Hier wird er am meisten gebraucht, und er ist kein Mensch, der seiner Pflicht den Rücken kehrt.«

Ich hätte sie am liebsten durchgeschüttelt, aber sie konnte mir mit ihren Illusionen nur sehr leid tun. Ich hatte auch Mitleid mit ihm, denn wenn er sie wirklich liebte, war es am besten, ihr so schnell wie möglich von seinen Plänen zu erzählen. Dann würde sie wach werden und herausfinden, ob sie wirklich den Mann liebte und nicht nur den Beruf. Es war nicht meine Sache, mich einzumischen, aber ich wünschte ihnen beiden, daß das Erwachen bald kommen würde.

Inzwischen begeisterte sich der Bezirk für seinen Doktor. Sie mochten ihn sehr gerne, fanden ihn freundlich und geduldig; bereit, lange und anstrengende Fahrten zu unternehmen, statt darauf zu bestehen, daß sehr kranke Patienten zu ihm gebracht wurden; er war geschickt und gutherzig. Es zeigte sich kein Wölkchen am Himmel, und Tony badete im reinen Sonnenschein.

Das Leben ging weiter wie immer. Der Winter begann früh, und das Wetter wurde rauh und kalt. Bei den niedrigen Preisen konnten sich unsere Männer kein Personal leisten, und so sahen Larry und ich wie früher nach den Schafen. Kurz gesagt, wir wurden bereitwillig unbezahlte Schafhirten. Es machte uns nichts aus, die Kinder gingen alle zur Schule, und Larry hatte das Glück, daß Tante Kate noch bei ihr war. Sie hatte gemeint, sie wolle die >Gastfreundschaft nicht ausnutzen< und ihr >eigenes Leben beginnen< aber es war uns gelungen, sie davon zu überzeugen, daß sie uns nicht nur Freude machte, sondern eine echte Hilfe war. Wenn Larry den ganzen Tag außer Hause verbringen mußte, sorgte Miss Fletcher für alles. War ich weg, wenn die Kinder aus der Schule kamen, gingen sie alle zu Larrys Haus, und sie nahm sie auf. Noch wichtiger war, daß wir hinterher nie ein unzufriedenes Wort von ihnen oder eine Klage von ihr hörten. Larry verkündete, sie habe noch nie so gute Zeiten gehabt.

»Ich weiß nicht, ob sie gut sind«, wandte ich ein. »Stundenlang über nasse Hügel reiten und nach hungrigen Schafen sehen, das ist nicht so einfach.«

»Viel einfacher, als zu Hause zu bleiben und für meinen Mann ein schmackhaftes Mittagessen zu kochen«, antwortete sie fröhlich und beugte ihren Kopf über den Hals ihres Pferdes, um sich vor dem rauhen Südwind zu schützen. »Herrlich, uns nicht um unsere Sprößlinge kümmern zu müssen, wenn sie von der Schule nach Hause kommen. Tante Kate ist eine viel bessere Mutter als ich und genauso gut wie du, Susan, auch wenn du das nicht gerne von mir hörst.«

Das gab ich bereitwillig zu. Miss Fletcher hatte irgendeine besondere Gewalt über Kinder, die für uns unsichtbar war. Bei ihr waren unsere Kinder glücklich und ziemlich brav, ohne daß es große Mühe kostete, und sie liebten sie und vertrauten ihr. Darüber waren wir besonders froh, denn gerade jetzt waren Christina und Christopher ziemlich schwierig und streitsüchtig. >Nur eine Phase<, dachten wir hoffnungsvoll und dankten dem Himmel für Tante Kate.

So machten wir jeden Morgen schnell unsere Arbeit, stiegen auf unsere erfahrenen Pferde und ritten über die Farm. Wir kümmerten uns um die leichteren Weiden, während die Männer die hinteren versorgten. An das Reiten waren wir gewöhnt, doch stiegen wir am Ende eines langen Vormittags ziemlich steif aus dem Sattel und bestätigten uns, daß wir uns bestimmt so alt fühlten, wie wir waren.

Wie üblich protestierten die Männer dagegen, allerdings nicht immer sehr taktvoll.

»Scheußliches Wetter für Euch. Ich komme schon allein zurecht.« Das war natürlich eine Herausforderung, auf die wir uns nicht einmal die Mühe machten zu antworten, obwohl ich mich oft fragte, was wohl passiert wäre, wenn ich sanft gesagt hätte: »Bist du sicher, mein Liebling? Dann ist es einmal schön, zu Hause bleiben zu können.«

Aber wir taten es nicht, denn sie arbeiteten so hart, wie sie konnten, und wir wurden auf der Farm wieder einmal gebraucht. Das war gar kein schlechtes Gefühl.

Paul sagte normalerweise: »Das ist kein Tag für dich, um auszureiten. Ich werde früher anfangen und schon ’rumkommen. Es war anders, als...«, dann hielt er inne und guckte mich verlegen an.

Sam machte dieselben Bemerkungen. Larry erzählte mir, daß er ihr eines Tages, als sie todmüde nach Hause kam, gesagt habe: »Lieber Himmel, Mädchen, für solche Dinge bist du nicht mehr geschaffen. Du solltest es lassen«; als sie ihn dann anfuhr: »Sei nicht albern, mir macht es Spaß, und ich habe es in der guten alten Zeit, wie du es nennst, immer gemacht«, begann er: »Aber damals war es anders. Du warst jung... « Und dann verbesserte er sich schnell: »Ich meine, wir waren alle jünger, und obwohl du keinen Tag älter aussiehst, darf ich nie vergessen... «, dann gab er es auf.

Dann erlöste ihn Larry von seinen Qualen, indem sie in Gelächter ausbrach und ihm sagte, er solle schnell eine Tasse Tee aufgießen. Zu mir sagte sie: »Ich wußte, daß ich wie ein häßliches altes Weib aussah, aber daß die Männer ganz unbeabsichtigt auch noch darauf herumreiten.«

Sie war immer schön und konnte niemals wie ein häßliches altes Weib aussehen, ich ja, und es war oft genug der Fall.

»Du hast natürlich Tante Kate«, erinnerte ich sie, und dann machte ich sie damit völlig wahnsinnig, daß ich sanft ein kleines Lied sang: »Denk täglich an dein Glück und vergiß es nie.« Ich hatte jedoch Tony. Die meisten Mädchen wären froh gewesen, sich ausruhen zu können, wenn sie am Wochenende nach Hause kamen, aber Tony machte einfach weiter. Im Haushalt war sie nicht so gut wie Tante Kate, aber sie hatte für alle möglichen Dinge Geschick und bestand oft darauf, daß ich zu Hause blieb, während sie genauso tüchtig die Schafe versorgte wie ich.

Sie war mir jederzeit eine Freude und ein Trost, aber ganz besonders in diesem öden Winter, als Futter und Geld knapp waren und die Kinder zur wahren Plage wurden.

»Nächstes Jahr seid ihr sie doch los«, versuchten unsere Männer uns ungeschickt aufzumuntern, und wenn wir sagten, daß es dadurch nur noch schlimmer würde, meinten sie, Frauen seien einfach unlogische Wesen.

»Tony werde ich auch nicht für immer haben«, sagte ich eines Abends traurig und ganz besonders vertraulich zu Paul. Ich jammere normalerweise nicht, aber der Tag war sehr hart gewesen, mein Rücken tat weh, und soeben hatte ich die Aufstellung der Kleider bekommen, die Christopher nächstes Jahr im Internat brauchen würde.

»Du wirst Tony nicht für immer haben? Was meinst du damit? Sie ist doch hier völlig glücklich, oder nicht?«

»Doch, das ist ja das Schlimme. Aber sie wird nicht für immer hier bleiben, zumindest nicht, wenn sie Oliver Barrett heiratet.«

Männer sind so teilnahmslos, daß ich kaum glaube, daß Paul je über das nachgedacht hatte, was für den halben Bezirk augenfällig war. »Diesen komischen Vogel heiraten?« fuhr er etwas ungerecht fort. »Das würde Tony nie machen. Er ist ein guter Kerl, aber nicht ihr Typ. Er wird eine gute Stadtpraxis bekommen und weit wegziehen, aber nicht mit Tony.«

»Mag sein, aber gegenwärtig ist er ein edler Held — ein Hinterlandarzt, und er braucht eine Schulter, wo er sich anlehnen kann. Tony ist begeistert, eben diese Schulter einem jungen Mann zu bieten, der sich für ihr Hinterland aufopfert... Oh, oft wünsche ich, Tony würde aufwachen und die Realitäten erkennen und sehen, daß es massenhaft andere Orte gibt, wo man genauso gut leben kann wie hier... Nur weil wir hier glücklich sind, meint sie, das Hinterland sei die einzige Heimat der Helden.«

»Komisch, gerade eben hast du dich noch beklagt, daß sie nicht immer hier bleiben wird. Jetzt findest du es schade, daß sie so viel von diesem Ort hält. Wirklich, Susan, du hörst jetzt besser auf zu reden und schläfst. Du bist übermüdet, ich sage dir immer wieder, daß du dich überforderst«, der Rest der Rede war das Übliche.

Natürlich wußte ich, daß ich unlogisch war, das hielt mich jedoch nicht davon ab, mir über Dr. Barrett Sorgen zu machen, aber vielleicht war es ein Glück, daß wir zuviel zu tun hatten, um uns über irgend etwas den Kopf zu zerbrechen. Es war ein besonders schlimmer Winter, und wir hatten zuviel Vieh, ein Fehler, den unsere Männer in der Regel nicht machten. Aber die Umstände hatten sich gegen sie verschworen, die üblichen Schwierigkeiten beim Transport der Schafe ins Kühlhaus wegen der endlosen Streiks, die niedrigen Preise, welche die Farmer veranlaßten, zum Ausgleich einen größeren Viehbestand zu halten. Das Futter war knapp, und das bedeutete viel Arbeit, das mühsame Aufziehen der schwachen Tiere, ständiger Wechsel der Weiden und aufmerksames Beobachten von Schafen und Rindern. Jeden Morgen machte ich hastig meine Hausarbeit und ritt mit meinem Pferd hinaus.

Natürlich litt das Haus darunter, und es schien mir, als tauche immer gerade dann jemand auf der Schwelle auf, wenn ich nach einer besonderen Krise auf der Farm — ein Tier im Morast, ein gebärendes Mutterschaf, das mit seinen Lämmchen geholt werden mußte — zu meinem vernachlässigten Haus zurückkehrte. Ein oder zweimal hat es mich schlimm erwischt, denn die Viehhändler haben die Angewohnheit, ihre Kunden besonders eifrig im Winter zu besuchen, wenn sie nichts anderes zu tun haben. Die Männer machten mir nicht soviel aus; sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, unheilvoll von fallenden Preisen und streikenden Kühlarbeitern zu sprechen, als daß sie dem bis zum Rand mit schmutzigem Geschirr gefüllten Spülstein irgendwelche Aufmerksamkeit geschenkt hätten; aber manchmal brachten sie ihre Frauen mit, und dann schienen sie mich immer im schlimmsten Rummel zu erwischen.

»Warum gehst du ihnen nicht aus dem Weg?« riet Larry. »Ich bin in einer glücklichen Lage, denn die alte Kate sorgt für alles, und trotzdem verstecke ich mich manchmal, wenn ein Auto ankommt und ich schmutzig und müde bin und nicht gestört werden will. Das Badezimmer ist der beste Ort. Kate mißbilligt das zwar, aber sie hilft mir.«

Ich hatte keinen, der mir half, und so sammelte ich einige demütige Erfahrungen. Am schlimmsten war es an einem nassen Tag, als es schon eine Woche lang regnete und fast der gesamte Inhalt meines Kleiderschranks in der letzten Wäsche gewesen war und nun feucht auf der Leine hing. Ich war in ein leeres Haus zurückgekehrt, hatte die ungeputzten Böden und die Asche des vergangenen Abends verzweifelt angesehen, mir ein höchst eigenartiges Kleidungsstück übergezogen und wollte nun meine nassen Reithosen auf die Leine hängen. Diesen Lumpen hatte ich ganz hinten in meinem Kleiderschrank gefunden, wo er bestimmt seit meiner Hochzeit gehangen hatte, denn der Rock reichte mir fast bis zum Knöchel, und die Jacke war bis über die Taille eingelaufen. Es war egal; niemand war da, nicht einmal Paul. Ich hängte gerade meine nassen Sachen auf, als ich ein Auto unsere Straße hinauffahren hörte. Es blieb keine Zeit mehr, um ins Haus zu flüchten, so stürzte ich mich in ein Loch in der Hecke, die den Trockenplatz vom Hinterhof trennt. Das Auto fuhr zur Vorderfront des Hauses, und durch die Zweige sah ich, daß zwei Personen darin saßen, eine davon war eine gutangezogene junge Dame. Ich blieb eine Weile auf der Lauer, dankbar, daß die Besucher den hervorragenden Einfall hatten, nur an der Vordertür zu klopfen. Mit etwas Glück konnte ich mich über den hinteren Rasen schleichen und ins Badezimmer gelangen, das eine Außentür besaß.

Die Hecke war stachelig und ungemütlich, so beschloß ich, es zu wagen, kämpfte mich leise durch die Zweige, wurde herausgeschleudert, stolperte und landete genau vor den Füßen meiner Besucher, die sich entschlossen hatten, es mit der Hintertür zu versuchen. Sie hatten offensichtlich mein Pferd auf der Weide und das Auto in der Garage gesehen und wollten meine Ankunft abwarten.

Nun ja, ich war angekommen, aber nicht gerade so, wie sie es erwartet hatten. Sie sahen äußerst erstaunt aus, und ich muß einen blödsinnigen Eindruck gemacht haben, als ich etwas von einem Hühnernest in der Hecke murmelte. Sie hielten mich offensichtlich für übergeschnappt, beschlossen aber doch, der Gefahr zu begegnen und mir ins Haus zu folgen. Ich hob meinen langen Rock an, ging voran in die schmutzige Küche und erzählte etwas von einer Tasse Tee. Der junge Viehhändler, den ich nie besonders gerne gemocht hatte, versuchte, seine Belustigung über mein Aussehen zu verbergen, und seine neue Braut sah äußerst erstaunt aus. Er sagte, er habe sie mitgebracht, damit sie seine Lieblingskunden kennenlerne, und ich konnte spüren, daß sie von seinem Geschmack nicht viel hielt.

Es war alles sehr unangenehm und, wie es meine Gewohnheit war, wenn ich verlegen wurde, redete ich zuviel und zu schnell. Aber ich bot ihnen Tee und Kekse an, mehr hatte ich nicht im Haus; ungeschickt versuchte ich, mein ungewöhnliches Aussehen zu erklären, indem ich auf die Wäscheleine deutete, sagte, daß ich klatschnaß vom Schafehüten zurückgekommen sei und das erste, was ich finden konnte, angezogen habe. Die junge Frau, die sehr elegant gekleidet war, sah verwirrt aus und fragte sich offensichtlich, wie man solche Kleidungsstücke überhaupt besitzen konnte; sie brachte aber nur heraus: »Was für ein interessantes Abenteuer!« Ich stimmte ihr zu. Als sie gegangen waren, rief ich Larry an und sagte wütend: »Erzähl mir nicht noch mal, ich solle mich vor jemandem verstecken. Man wird immer dabei ertappt, und man fühlt sich idiotisch.«

Sie lachte nur ohne Mitgefühl und sagte: »Ich erinnere mich an diesen Rock. Das Gesicht hätte ich gerne gesehen!«

So war ich hocherfreut, als ich einige Tage später hörte, daß auch Larry überrascht worden war. Es wäre natürlich nicht passiert, wenn Tante Kate dagewesen wäre, aber sie war für zwei Nächte zu Anne gefahren, denn Tim mußte einen Kauf abschließen, und Anne war seit Gerards Geburt nicht sehr gesund gewesen. Larry sagte: »Natürlich war es verrückt von mir, so ein Risiko einzugehen, aber ich war in derselben Situation wie du — nichts Trockenes mehr zum Anziehen, ich hätte erst suchen müssen, und ich wollte unbedingt diese schrecklichen nassen Sachen loswerden. Es war noch viel schlimmer als bei dir. Du hast vielleicht altmodisch ausgesehen, aber wenigstens anständig, aber ich habe einfach meine Reithosen und die Jacke ausgezogen und wollte sie auf die hintere Veranda werfen. Nur ’raus aus dem Haus, denn ich hatte ein schrecklich stinkendes Mutterschaf bearbeitet.«

»Und was ist passiert?«

»Ich warf sie hinaus, und sie haben beinahe Mr. Kirk getroffen, der eben die Veranda betreten hatte. Erinnerst du dich an Kirk, dem wir in der Stadt begegnet sind?«

»Ja, diese ziemlich vornehmen Leute in dem Motel. Du hast ihnen das Versprechen abgenommen, daß Sie dich besuchen, wenn sie vorbeikommen — und das haben sie getan.«

»Ich schwöre dir, daß ich das nicht noch einmal tue. Es war schrecklich. Ich packte das nächste Kleidungsstück, das im Vorraum hing. Es war zufällig Sams Mantel und reichte mir bis zum Knöchel. Du mußt mit mir verglichen wie ein Mannequin ausgesehen haben. Sie waren schrecklich nett und versuchten, sich so zu verhalten, als seien halbangezogene Frauen, die mit schmutzigen Kleidern nach ihnen werfen, das Alltäglichste von der Welt. Mrs. Kirk hatte ein herrliches Tweedkostüm an und einen Reisemantel, und wir bemühten uns alle eifrig, die Situation zu überbrücken, bis ich mich davonstehlen und ein anständiges Kleidungsstück anziehen konnte. Ich habe schrecklich überschwenglich geredet, als ich mich zurückzog und sie erst in die Küche, wo der Spülstein mit Frühstücksgeschirr gefüllt war, und dann ins Wohnzimmer brachte. Dort konnten sie sich die Asche im Kamin betrachten, während ich den ganzen Schrank nach etwas Anziehbarem durchsuchte. Dann habe ich es noch fertiggebracht, Mrs. Kirks lieben Vorschlag, mir beim Teeaufgießen zu helfen, abzulehnen, und ich bemühte mich, nicht mit den leeren Büchsen zu klappern, als ich etwas zu essen suchte.«

»Hast du etwas gefunden?«

»Ja, denn Tante Kate hatte vor ihrer Abreise gebacken, und uns war keine Zeit geblieben, alles zu verschlingen, und der Kaffee war gut.«

»Und du warst natürlich sehr unterhaltsam?«

»Ich habe mein Bestes getan, während ich krampfhaft überlegte, was wir zum Mittagessen hatten, falls sie blieben. Keine Konserven, nur ein mageres Stück Hammel. Ich hatte mich gerade für Tonys Bauernomelette entschlossen, als sie sagten, sie könnten nicht länger bleiben. Natürlich redete ich vor lauter Erleichterung viel zuviel, und nun kommen sie auf dem Rückweg wieder.«

»Das geschieht dir recht. Inzwischen werden sie sich über diese Geschichte köstlich amüsieren«, sagte ich gehässig.

Die göttliche Vergeltung mußte mitgehört haben, denn schon am nächsten Tag klingelte das Telefon, und ich vernahm die gebildete Stimme von Pauls Schwester Claudia, die aus Auckland anrief. Ich wähnte sie in sicherer Entfernung in Melbourne und war entsetzt, als sie sagte: »Wir sind gestern zu dem Kongreß eingetroffen... Was, du weißt nichts davon? Susan, ich glaube, du liest überhaupt keine Zeitung... Ja, ich würde euch gerne einen kurzen Besuch abstatten.«

Was nannte sie einen »kurzen« Besuch? Ich hoffte, es würden drei Tage sein oder weniger. Schrecklich war nur, daß sie am nächsten Tag ankam.

Paul war nicht zu Hause, aber ich rief Tony im Supermarkt an, und sie war genauso entsetzt wie ich.

»Oh, Susan, und dazu ist es noch ein Wochenende. Ich habe keine plausible Ausrede, daß ich nicht kommen kann.«

»Das glaube ich auch nicht. Natürlich wirst du kommen. Es ist schließlich deine Mutter.«

»Nun reite nicht darauf herum. Du weißt, wir verstehen uns nicht. Sie hält so wenig von mir.«

»Unsinn. Auf jeden Fall mußt du kommen. Sie hat einen Wagen gemietet, fährt morgen selbst hierher und kommt um die Mittagszeit an. Kannst du rechtzeitig da sein, um mir beim Aufräumen dieses unmöglichen Hauses zu helfen? Ich war all die Tage draußen, und hier sieht es aus wie in einem Schweinestall.«

»Mein Schatz, mach dir keine Sorgen. Es wird schon nicht wie in einem Schweinestall aussehen. Das stimmt doch gar nicht.«

»Rede keinen Unsinn. Komm lieber nach Hause, und mach dich an die Arbeit.«

»Ich komme. Ich stehe früh auf, um acht Uhr bin ich da.«

Da sie geritten kam, hieß das, daß sie sich aufmachen mußte, sobald es hell wurde. Aber ich wußte, daß ich mich auf sie verlassen konnte. Ich rief Larry kurz an.

»Ich habe keine Zeit, mich lange zu unterhalten. Aber da wir vom Überraschtwerden sprechen, Claudia kommt morgen.«

»Ach Du großer Gott, wie schrecklich. Ich dachte, Alister Smale sollte bald nach Neuseeland kommen und ein oder zwei Tage bleiben, bevor sie auf ihre Reise gehen?«

»Stimmt auch, ist aber Gott sei Dank noch nicht so weit. Ich habe Alister ja gern. Er ist so angenehm. Aber Claudia ist schrecklich pingelig, und sie argumentiert mit Paul und streitet sich mit Tony.«

»Was für ein herrlicher Gast! Würde es dir nicht helfen, wenn ich an einem Nachmittag ’rüberkäme?«

»Bloß nicht. Du würdest sie nie mögen und wahrscheinlich alles noch schlimmer machen.«

»Vielen Dank für das Kompliment an meinen gesellschaftlichen Schliff. Na ja, soll ich ’rüberkommen, um die Fenster zu putzen? Morgen früh könnte ich mich für ein paar Stunden freimachen, und bei den Fenstern kommt es auf gesellschaftliches Geschick nicht an, nur auf Armschmalz.«

»Das könnte meinen Fenstern nicht schaden. Aber nein, du hast soviel zu tun. Tony und ich werden schon zurechtkommen, und ich hoffe, daß es regnet. Dann sind die Fenster egal.«

Aber natürlich kam sie, kurz nach Tony. Wir arbeiteten in verbissenem Schweigen. Larry putzte die Fenster und saugte Staub, fand einige Blumen und machte Claudias Bett, das mit der ganzen Bügelwäsche zugedeckt war, die auf eine freie Stunde wartete. Noch mehr Bügelwäsche entdeckte Tony in Claudias Schrank und machte sich damit an die Arbeit, wischte Staub und verrichtete endlose kleine Dinge. Ich backte einen Kuchen und ein bißchen Teegebäck, bereitete ein anständiges Mittagessen vor und putzte das Silber. Als Paul nach Hause kam, lachte er, weil er drei Frauen arbeitend in andächtigem Schweigen vorfand, aber er freute sich nicht auf den Besuch seiner Schwester. Sie hatten nur wenig gemeinsam. Sie verachtete unsere Lebensweise und neigte dazu, Farmer gönnerhaft zu behandeln, und Paul hatte die alberne Vorstellung, daß ihr Professor zwangsläufig so sein mußte wie in manchen lustigen Geschichten, ziemlich überkandidelt. Das war alles ganz lächerlich, aber es brachte keine Harmonie in die Familie.

»Gut, daß der Professor nicht kommt«, sagte er. »Er würde sich wie ein Fisch auf dem Trockenen fühlen.«

»Du kennst ihn doch gar nicht«, fuhr ich ihn an. »Vielleicht ist er ein phantastischer Mensch.«

»Ich kenne ihn«, sagte Tony, die mit den gebügelten Kopfkissen gerade hereinkam. »Und Paul hat recht. Viele Professoren würden sich anpassen, aber nicht Macgregor Maclean. Er lebt nur in seiner eigenen Welt. Ich sage ja nicht, daß kluge Leute nicht nett sein können. Oliver ist klug, aber er läßt mich nie spüren, daß ich dumm bin.«

Oliver und Tony duzten sich nun also, wahrscheinlich schon wochenlang. Ich sagte nicht, daß sie wohl kaum miteinander zu vergleichen waren, oder daß ein Mann ein Mädchen nicht spüren läßt, daß sie dumm ist, wenn er sich gerade in sie verliebt hat. Ich sagte nur bewundernd: »Er ist eben ein kluger Mensch, der in Ordnung ist.«

Meine Schwägerin kam pünktlich an, und ich zwang Paul, zu ihrer Begrüßung zu Hause zu bleiben. Sie sah sehr gut aus, und ich mußte zugeben, daß Tony einiges von ihrer Schönheit ihrer Mutter verdankte. Aber die Haarfarbe hatte sie von ihrem Vater, und vielleicht war es ihre Gesichtsform und ihr rotbraunes Haar, das Claudia an ihren einen großen Fehler erinnerte und die Kluft zwischen ihnen vertiefte. Dazu kam die Tatsache, daß Tony ganz unverhohlen ihren Vater anbetete, und er sich jetzt, wo sie zu einer schönen jungen Frau herangewachsen war, um sie kümmerte und gern mit ihr zusammen war.

In ihrem Schlafzimmer sagte Mrs. Maclean mit herablassender Freundlichkeit zu mir: »Susan, du hast wirklich etwas aus dem Kind gemacht. Jetzt kann man sie vorzeigen, und gesellschaftlich hat sie unsagbare Fortschritte gemacht. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie dir das an einem Ort wie diesem gelungen ist.«

Unglücklicherweise hörte Paul das, als er mit ihrem Koffer hereinkam. Es war nicht erstaunlich, daß er daraufhin sagte: »Heb’ was vom Mittagessen für mich auf Susan. Ich muß erst noch nach einigen Schafen sehen.«

Kein sehr verheißungsvoller Anfang.